i-kiosk (intale)

Kleiner ist größer

Jeder, der schon mal in Griechenland war, kennt ihn: den Kiosk an der Ecke. Maximal 2-3 m² groß und vollgestopft mit allem, was das Herz begehrt. Es ist unglaublich, was man dort alles finden kann, von erwarteten Produkten, wie Zigaretten, Zeitungen oder Kaugummis über klassische Supermarkt-Produkte, wie Getränke, Rasierklingen, Shampoos, Zahnpasta etc. bis hin zu allem, was einem zwischendrin so einfällt, wie Fahnen, Blöcke, T-Shirts, Geldbeutel, Gürtel etc., und das man auch mal spontan kauft. Mich haben diese Kiosks in meiner Jugend in Athen oft an die Micky-Mouse-Figur Eega Beeva (dt. Gamma) erinnert, der aus seinen Hosentaschen unendlich viele hilfreiche Gegenstände ziehen kann und in seinen kurzen Shorts ein schier unendliches Lager vermuten lässt.

Startseite von i-Kiosk (aktuell nur auf Griechisch)

Startseite von i-Kiosk (aktuell nur auf Griechisch)

In der Business-Welt spricht man eher von Small-Retail-Markets und meint damit genau diese kleinen Geschäfte, die meistens von einer Familie betrieben werden und so sehr das Bild von Griechenland, aber auch vielen anderen Ländern prägen.  Manchmal ist es ein Kiosk, manchmal auch ein kleiner Eckladen oder ein Mini-Market. Was ich nicht wusste ist, dass der Umsatz dieser kleinen Einzelhändler in Griechenland mehr als 50% des gesamten Einzelhandels ausmachen. Da sie, jeder für sich genommen, jedoch außerhalb des sichtbaren Bereichs  für die großen Konzerne sind, gibt es kaum Software-Lösungen, die solche Kiosk-Besitzer bei ihrer Arbeit unterstützen.

Die Entstehungsgeschichte – eine neue Lösung für ein altes Problem

Das griechische Unternehmen i-kiosk hat dies erkannt und aus dem Nichts eine erstaunliche Lösung hervorgezaubert, die sich inzwischen großer Beliebtheit erfreut. „Der Freund eines Freundes ist ein Kiosk-Besitzer und hat gefragt, ob wir ihm nicht helfen können eine Anwendung zu schreiben, mit der er sein Geschäft besser organisieren kann“, sagte mir Fanis Koutouvelis zur Entstehungsgeschichte. Die drei Gründer Fanis Koutouvelis, Orestis Tzanetis und Konstantinos Kazanis sind hellhörig geworden und haben eine kleine Analyse gemacht, indem sie weitere Kiosk-Besitzer gefragt haben, ob ihnen so ein System helfen könnte. Das Ergebnis war, dass 80% aller Befragten sofort Interesse gezeigt haben – eine neue Geschäftsidee war geboren.

Der Gründer von i-Kiosk Fanis Koutouvelis

Der Gründer von i-Kiosk Fanis Koutouvelis

Die Anwendung – keep it simple

Sie haben sich wenige tausend Euro von ihren Eltern geliehen und losgelegt. „Wir mussten eine extrem einfache Lösung schaffen, da die meisten Besitzer mit komplexen ERP-Lösungen völlig überfordert sind“, so Fanis Koutouvelis. Das Ergebnis ist eine kleine Standardhardware mit Touchscreen in 2-3 Ausführungen mit vorkonfigurierter Software. Der Clou ist das Plug-and-Play-Prinzip: Der Besitzer muss die Box nur anschließen und schon hat er Zugriff auf ein riesiges Sortiment an Artikeln.

i-kiosk im Einsatz

i-kiosk im Einsatz

0€-Marketing-Budget, 25 Millionen Transaktionen, 100 Millionen € in einem Jahr

Da die drei Gründer kein Geld für Marketing hatten, haben sie eine 0€-Marketing-Kampagne gestartet, indem sie mit der Lösung vor allem die Presse angesprochen haben. Offensichtlich war die Lösung so bestechend, dass inzwischen nicht nur in griechischen Zeitungen, sondern sogar im Economist und dem Wall-Street-Journal über sie berichtet wurde. Parallel dazu spricht sich die Einfachheit der Lösung wie ein Lauffeuer unter den Mini-Market- und Kiosk-Besitzern in ganz Griechenland herum. „Wir haben inzwischen in 26 der 54 Regionen Griechenlands Kunden und selbst aus den abgelegensten Ecken bekommen wir Anfragen“, berichtet Fanis Koutouvelis stolz. Innerhalb von einem Jahr verzeichnen sie auf ihrem System mehr als 25 Millionen Transaktionen mit über 100 Millionen Euro Umsatz über diese Transaktionen.

Hier noch ein kurzer Auftritt des gerade mal 25-jährigen Gründer Fanis Koutouvelis auf Ignite Athens:

… und jetzt geht es erst los

Alles, was sie innerhalb eines Jahres aufgebaut haben, haben sie aus eigener Anstrengung geschafft und ohne Budget.  Inzwischen beschäftigen sie drei weitere Mitarbeiter und sogenanntes „smart money“ ist auf sie aufmerksam geworden. „Wir wissen, dass wir mit einem ERP für den kleinen Einzelhandel keinen weltweiten Hype  auslösen. Aber Griechenland dient für uns als optimales Feld, um unser Produkt und unsere Dienstleistungen zu erproben. Im zweiten Schritt wollen wir in die großen Märkte vorstoßen, die eine ähnliche  Einzelhandelsstruktur wie Griechenland haben, aber als Märkte wesentlich größer sind“, so Fanis Koutouvelis.

Übersichtliche Auswertung des Umsatzes mit i-Kiosk

Übersichtliche Auswertung des Umsatzes mit i-Kiosk

Je weiter sie fortschreiten, desto mehr Chancen sehen sie auch im Bereich des B2B-Marktes und in der Expansion in weltweite Märkte. Ich habe mich noch eine ganze Weile mit Fanis über das Potential unterhalten, aber ich halte mich mal zurück, da hierzu diverse Gespräche mit Investoren laufen. Ich berichte über die Entwicklungen von i-kiosk bestimmt in einigen Monaten noch einmal.

i-kiosk als Paradebeispiel

Nikos Moraitakis von workableHR hat mich auf i-kiosk aufmerksam gemacht und ich muss ihm beipflichten: Für mich ist i-kiosk das Paradebeispiel eines griechischen Startups – es nutzt die lokalen Rahmenbedingungen  und Erfahrungen in Kombination mit europäischem Sachverstand und Technik-Know-how, um einen echtes Problem mit einer innovativen Lösung zu adressieren. Es schafft dabei aus dem Nichts Arbeitsplätze und eine begeisterte Nutzergemeinde, die schon seit Jahren auf eine solche Lösung gewartet hat.

Was will man mehr.

Nachtrag August 2013:

i-kiosk hat sich inzwischen in intale umbenannt und hat eine erste große Finanzierung vom PJ Tech Catalyst Fund erhalten (siehe auch http://intale.com/intale-sets-forward-to-connect-and-unify-the-retail-market/)

Parking Defenders (park around)

Was haben Flugzeuge und Parkplätze gemeinsam

Will man heutzutage einen Flug buchen, so weiß man, dass die Preise täglich oder gar stündlich schwanken. Abhängig von der erwarteten Nachfrage, von den bereits gebuchten Sitzen, von der Jahreszeit, den Schulferien etc. Verständlich: Die Fluggesellschaften wollen bei harter Konkurrenz ihre Flugzeuge möglich voll ausbuchen, ohne sich dabei unter Wert zu verkaufen. Das Prinzip dahinter heißt Ertragsmanagement (oder Yield-Management). Auch wenn man allgemein von  Preisdifferenzierung sprechen könnte, hat das Yield-Management ein besonderes Charakteristikum: Es ist nicht nur von der Art der Leistung abhängig, sondern vor allem von der Beschränkung des Kontingents zu einem bestimmten Zeitpunkt – wie bei den Plätzen in einem Flugzeug bei einem bestimmten Flug. Blöd für die Fluggesellschaft wird es, wenn der Flug halbleer startet oder noch 100 weitere Tickets hätte verkaufen können, weil sie „zu günstig“ waren.

Parking Defenders Startseite

Parking Defenders– Finde das beste Parkplatzangebot in der Nähe

Das griechische Unternehmen Parking Defenders hatte als erstes Unternehmen weltweit (zumindest soweit ich das überblicken kann) die Idee, das Prinzip des Yield-Management auf Parkhäuser und Parkplätze zu übertragen. Wie die Gründer Kostas Arkadas, John Katsiotis, Otto Antoniou und Nikos Antoniou richtig erkannt haben, steht ein Parkhausbetreiber vor genau derselben Herausforderung wie die Fluggesellschaften: Wie schaffe ich es, dass die Parkplätze möglichst gut belegt sind und dies möglichst über den ganzen Tag gleichmäßig verteilt.

Vorab buchen  oder in Echtzeit entscheiden – alles ist möglich

Die zentrale Idee hinter Parking Defenders ist die Dynamisierung und Flexibilisierung des Preises für Parkplätze. Im Gespräch mit Kostas Arkadas habe ich gelernt, dass das nicht nur für Parkplatzbetreiber, sondern vor allem auch für Parkplatzsuchende interessant ist. Dazu gehören sogar Themen wie Frühbucherrabatte, bester Preis für fünf Stunden parken in der Nähe, personalisierte Spezialangebote, die das Parkhaus ad hoc machen kann, bis hin zu Zusatzangeboten, wie Rabatte, wenn gleich eine Autowäsche mitbestellt wird.

„Mit Parking Defenders ermöglichen wir auch zum ersten Mal eine direkte Kommunikation zwischen Anbieten und Kunden, wodurch ganz neue Möglichkeiten der Kundenbindung entstehen“, sagt Kostas Arkadas im Gespräch. „Es ist eigentlich verwunderlich, dass sich noch niemand um das Thema gekümmert hat, wenn man bedenkt, dass das Parkplatzgeschäft in Europa mehrere Milliarden Euro wert ist und noch steigt.“ (Siehe dazu auch die Analyse von Bouwfonds)

Die Ideen der Gründer gehen sehr weit, bis hin zur Integration in die Navigationsgeräte der Autos. Über eine solche Integration könnte man dann nicht nur den Zielort, sondern auch gleich das günstigste Parkhaus für 24h in der Nähe des Zielorts suchen und sich dorthin routen lassen. Eine schöne Ergänzung für das Travelling-Salesman-Problem.

Wenn man nicht gerade in Athen unterwegs ist, wo die App bereits genutzt werden kann, kann man sich hier einen ersten Eindruck verschaffen.

Die Vorgeschichte – Gamification der Parkplatzsuche

Obwohl das Unternehmen noch recht jung ist, merkt man im Gespräch, dass die jungen Unternehmer schnell gelernt und bereits mehrere Entwicklungsstufen in kürzester Zeit durchwandert haben. Dass sie technisch versiert sind, haben sie bereits letztes Jahr in einem europäischen Wettbewerb von Evernote (LeWeb Developer Competition) gezeigt,  bei dem sie prompt den ersten Preis gewonnen haben.

„Unsere ursprüngliche Idee war eine Parkplatzvermittlung zwischen Parkplatzsuchenden und Personen, die gerade einen öffentlichen Parkplatz verlassen“. Um die Teilnahme für alle interessant zu machen, haben die Gründer mit Gamification-Ansätzen experimentiert. Schon bei diesem ersten Ansatz in der Thematik der Parkplatzsuche haben sie nicht nur Kreativität, sondern auch viel Humor gezeigt, wie folgende ältere Videos zeigen:

oder

Sie hatten damit in kürzester Zeit 6.000 Nutzer in Athen erreicht und ca. 100.000 Parkplatzanfragen verarbeitet. Damit haben sie sich eine Community aufgebaut, die mit täglichen Parkplatzproblemen kämpft. Allerdings haben sie schnell festgestellt, dass die Anzahl der Nutzer wesentlich größer sein muss und das Geschäftsmodell noch nicht richtig tragfähig ist. „Die alte Anwendung läuft weiter, aber wir haben das Thema erst mal geparkt und konzentrieren uns auf den kommerziellen Markt der Parkplatzanbieter, da hier der Bedarf höher ist und das Geschäftsmodell für alle Parteien klarer ist“, wie mir Kostas Arkadas sagt.

Übertragbarkeit auf Deutschland und ein Beitrag zur Reduktion des Verkehrs

Ich habe mich natürlich gefragt, ob der Ansatz auf Deutschland übertragbar ist. Das Problem ist auf jeden Fall ein typisches Großstadtproblem. In Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München ist die tägliche Parkplatzsuche sicher ein Thema. Ich selbst fahre kaum Auto, sodass ich das Problem nicht habe. Aber wenn ich sehe, wie sich Staus an Samstagen selbst in einer kleineren Stadt wie Karlsruhe bilden, nur weil die Fahrer stur zum nächsten Parkhaus in der Nähe ihrer gewünschten Einkaufsmöglichkeit fahren – und dies trotz Parkleitsystem – denke ich schon, dass eine App hilfreich wäre, die die Fahrer zu freien und kostengünstigen Parkplätzen in der Nähe führt.

Viel Spaß bei der Parkplatzsuche.

Nachtrag vom 4.10.2013:

Parking Defenders heißen inzwischen park around, sind finanziert und konzentrieren sich auf das Geschäft mit Parkhäusern. Die neue URL lautet: http://www.parkaround.com/

bugsense

Viele kleine Fehler und eine Erfolgsgeschichte

Es ist schon ein paar Tage her, dass ich das letzte Mal etwas selbst entwickelt habe, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nichts nervenaufreibenderes gibt, als einen Fehler in der Software gemeldet zu bekommen und nicht nachvollziehen zu können, was genau diesen Fehler verursacht hat. Und je komplexer die Anwendungen und Interaktionen untereinander werden, desto schwieriger wird die Fehlersuche.

Mit Anwendungen für mobile Endgeräte (Apps) ist das nicht anders und es kommt noch ein Frustfaktor hinzu: Oft weiß man als Entwickler noch nicht mal, dass irgendwo auf der Welt, auf irgendeinem Handy die Software gerade abgeschmiert ist.  Der Begriff „Bug“ wirkt eher als Verniedlichung, wenn man in Betracht zieht, was die Hauptgründe für schlechte Bewertungen von Apps sind: Der GAU ist, wenn ein Bug zu Stabilitäts- und Performanzproblemen führt und die Nutzer deswegen die App schlecht bewerten oder löschen. Im Gegensatz zu klassischen Softwareprodukten, in denen Generationen an Nutzern mit bestimmten Bugs gelebt haben, sind App-Nutzer nicht nur schneller beim Kauf, sondern auch beim Löschen und Kritisieren. Wie eine aktuelle Studie zeigt, sind App-Nutzer besonders rigoros und fast die Hälfte aller App-Nutzer löscht die App sofort, wenn sie einmal einfriert (Apigee Survey).

Infographik (c) bugsense

Ich bin beeindruckt

Das griechische Unternehmen bugsense hat erkannt, dass es unabdingbar ist, auch oder gerade für die Softwareentwicklung von mobilen Endgeräten entsprechende Unterstützung bei der Fehlersuche anzubieten. Panos Papadopoulos und John Vlachoyiannis haben ihr Geld und vor allem ihre Energie zusammen gelegt und etwas Erstaunliches vollbracht: Innerhalb von weniger als zwei Jahren haben sie ein Unternehmen hochgezogen, dass mit den „Großen“ dieser Welt nicht nur konkurriert, sondern ihnen inzwischen auch den Rang abläuft. Mit über 12.000 Entwicklern als Kundenbasis haben sie nicht nur einen „social proof“ durchgeführt (im HipHop würde man vermutlich von „street credibility“ sprechen), sondern sind inzwischen De-facto-Standard bei der App-Entwicklung für Android. Über 3% aller Android-Apps nutzen bugsense bereits. Wenn man bedenkt, dass Google-eigene Werkzeuge wie Google Analytics gerade mal in 7% aller Apps enthalten sind, dann ist das ein enormer Wert (siehe auch appbrain). Wie mir Panos Papadopoulos sagte, ist „bugsense auch gerade dabei, sich als führender Anbieter für das ganz neue Windows 8 von Microsoft zu etablieren“ (Windows Blog).

Richtig beeindruckt war ich von der Referenzliste, die bugsense vorweisen kann. Laut Panos Papadopoulos übrigens „war einer der ersten größeren Kunde das deutsche Unternehmen SoundCloud“. Inzwischen gehören zu den Kunden von bugsense so schillernde Namen wie HBO, VMware, Groupon oder Instagram. Die Liste könnte ich endlos weiter führen. Sogar Microsoft setzt inzwischen bugsense ein, um Fehler in der mobilen Version von Skype zu identifizieren und zu analysieren.

Die Innovation

Bei der ganzen Freude über die Referenzliste sollte ich wohl auch noch kurz erwähnen, was bugsense eigentlich macht. Einfach ausgedrückt ist bugsense eine Cloud-basierte Lösung, die auftretende Fehler in einer App protokolliert und dabei hilft, diese Fehler zu analysieren und zu lokalisieren. Solche Informationen können beispielsweise ausführliche Crashreports sein (bei welchem Gerät, welchem Betriebssystem, welcher Interaktion etc. ist der Fehler aufgetreten), aber auch sogenannte Quality Metrics, also beispielsweise wie viele Nutzer von einem Bug betroffen sind, bis hin zu Benachrichtigung in Echtzeit, Integration in lokale Fehlermeldesysteme wie JIRA, Analysemöglichkeiten zu den einzelnen Fehlern und automatische Benachrichtigung der Nutzer, wenn ein Fehler gefixt wurde.

Startseite von bugsense

Interessant dabei ist auch, wie mit so vielen Daten umgegangen wird, ohne die Performanz und Verfügbarkeit von bugsense selbst zu gefährden. Mit steigender Anzahl der Nutzer wachsen auch die Fehlermeldungen. Am Anfang ein paar hundert, dann ein paar tausend und demnächst 10.000 pro Minute. Dass dies eine Herausforderung für sich ist, kann sich jeder vorstellen. Dem geneigten Leser empfehle ich dazu den Artikel der Gründer im Bugsense-Blog „Indexing BigData with ElasticSearch“.

Viel Spaß bei der Fehlersuche.

taxibeat

Ich liebe Taxifahren!

Vielleicht kommt die Angewohnheit noch aus meiner Athener Zeit, aber seitdem ich denken kann, nehme ich mir ein Taxi, wenn ich schnell irgendwo hin muss und die sonstige Verkehrsanbindung zu mühsam, zu langsam oder einfach nicht da ist, wie beispielsweise nachts. Da ich kein Auto besitze, würde ich auch sagen, dass meine persönlichen Mobilitätkosten trotz des „Luxus“ eines Taxis den ich mir ab und zu leiste, weit unter denen eines typischen Autobesitzers liegen.

Das einzige Problem beim Taxifahren: Man weiß nicht, an wen man gerät. Ich habe schon einige skurrile Geschichten erlebt, von Fahrten mit vier „Mitfahrern“ in einem kleinen Auto („rutscht mal zusammen“), über schlecht gelaunte Fahrer, die non-stop über irgendein Ereignis (meist Politisches) herziehen, als ob sie gerade aus dem Film Conspiracy Theory entsprungen wären, oder gar Taxis ohne Sicherheitsgurt („vertraust du mir nicht, Alder?“). Es gibt aber auch viele tolle Geschichten, wie die von dem Taxifahrer aus Karlsruhe, der uns über die neuesten Entwicklungen in der Heavy-Metal-Szene aufgeklärt und uns ein paar seiner aktuellen Lieblingsstücke vorgespielt hat. Oder der Athener Taxifahrer, der sich so gefreut hat, zwei Mal innerhalb kürzester Zeit die gleiche Gruppe an Leuten zu transportieren (sehr selten in Athen), dass er uns die Fahrt geschenkt hat. Oder der New Yorker Taxifahrer, der selbst Grieche war und uns so die erste Sightseeing-Tour durch New York auf Griechisch bescherte. Schade nur, dass ich diese Erfahrungen nicht mit anderen teilen kann, bzw. vorgewarnt werden kann, auf was (oder wen) ich mich da einlasse. Wäre es nicht toll, wenn ich mir genau das Taxi und den Taxifahrer aussuchen könnte, das resp. den ich haben will?

Das griechische Unternehmen taxibeat hat diese Lücke erkannt und bietet seit 2011 einen weltweit einmaligen Dienst an: Über eine kostenlose App sieht man alle Taxis, die in der Nähe und aktuell  frei sind. Statt sich auf die Straße zu stellen und „Taxi!“ zu rufen, wählt man sich direkt ein Taxi aus und bestellt es. Der Taxifahrer erhält neben der Bestellung auch gleich einen Anfahrtsweg.

Die Anwendung

Der Clou ist, dass sich taxibeat, im Gegensatz zu anderen Taxi-Apps, wie die in Deutschland verbreiteten Apps myTaxi, Taxi.de oder die ganz neue BetterTaxi, die Taxizentralen umgeht und eine direkte Vermittlung zwischen Kunden und Fahrer herstellt. Über die Liste der aktuell in der Nähe befindlichen freien Taxis kann der Kunde ein Taxi nach seinen persönlichen Präferenzen auswählen, wie Nähe zum aktuellen Ort, den Autotyp, aber beispielsweise auch die Sprachen, die der Fahrer spricht, sodass auch ein Tourist, der kein Griechisch spricht, sich verständigen kann. Darüber hinaus kann der Kunde die Bewertungen und Kommentare einsehen und sich so vorab ein Bild vom Fahrer, Fahrstil etc. machen.

http://youtu.be/oa4ooNupJiQ

Märkte

taxibeat ist inzwischen so erfolgreich, dass „in Athen über 10% aller Taxis bereits damit ausgestattet sind und das Geschäft in Griechenland schon profitabel ist“, wie mir Nikos Drandakis, einer der Gründer von taxibeat, erzählte. „Die Technik steht schon seit über einem Jahr und die Hauptkosten entstehen im Marketing und dem schnellen Ausbau in neue Märkte“. Vor drei Monaten hat taxibeat den Standort Brasilien aufgemacht und dort bereits über 900 Taxis in Sao Paolo und Rio de Janeiro im Angebot. Parallel bauen sie aktuell die Standorte Rumänien, Norwegen und Frankreich (Paris) auf (LINKS).

taxibeat hat sich zu Beginn über Seedfunding vom griechischen OpenFund (http://www.theopenfund.com/) mit 50.000 € finanziert und dann in mehreren weiteren Finanzierungsrunden vor allem Investoren aus Griechenland an Bord geholt.

Deutschland ist bei der Expansion derzeit leider außen vor. „Wir konzentrieren uns aktuell auf Märkte, in denen noch wenig Infrastruktur vorliegt, also dort, wo die Qualität der Taxis und Taxifahrer sehr heterogen ist und es nicht so einfach ist, schnell ein Taxi über eine Zentrale zu bekommen“ betont Nikos Drandakis. „Wichtig für uns ist es, schnell an neuen Märkten die ersten zu sein“. Ich stimme dem zwar nicht 100% zu, da ich den Mehrwert auch für Deutschland sehe (ich bleibe nicht selten in der Warteschleife der Zentralen hängen und hätte mir einen direkten Zugriff auf die Fahrer gewünscht), aber ich kann schon verstehen, dass andere Märkte für taxibeat erst einmal interessanter sind.

Das Geschäftsmodell ist übrigens sehr einfach. Der Kunde zahlt nichts und der Taxifahrer einen kleinen Betrag pro Fahrt. Für die meisten Taxifahrer ist das ein gutes Geschäft, da sie nicht nur die Monatsgebühren sparen und viel mehr Fahrten machen können, sondern auch keine teure Funk-Ausrüstung benötigen und einfach ihr Smartphone für die Annahme der Fahrten benutzen können.

Eine kleine Anekdote am Rande: Im vermeintlich so fortschrittlichen und liberalen Norwegen versucht gerade die Taxizentralen-Lobby Stimmung zu machen und will taxibeat stoppen (norwegischer Artikel). Manchmal wundert man sich schon, wie wenig die Klischees eines Landes und die Realität zusammenpassen.

Also, wenn es kurzfristig schon nichts mit taxibeat in Deutschland wird, dann die App beim nächsten Urlaub in Griechenland oder Paris einpacken und vor allem zur nächsten Fußballweltmeisterschaft in Brasilien.

taxibeat, Taxi, Samba!

Wer mehr wissen will, hier noch ein Interview mit Nikos Drandakis (auf Englisch) und ein nettes Video über taxibeat (auf Portugiesisch mit griechischen Untertiteln zur Einstimmung auf die WM):

http://www.youtube.com/watch?v=H7Y114fML_M

NOOWIT

Eine Frage der persönlichen Einstellung

Wer kennt das nicht: unendlich viele Beiträge in unendlich vielen Medien und das jeden Tag. Man wird bombardiert mit netten, überflüssigen, beeindruckenden oder uninteressanten Beiträgen und versucht mit viel Mühe und Zeitaufwand, die für einen persönlich spannenden Informationen aus dem Netz zu fischen.

Das griechische Unternehmen Noowit ist gerade dabei, eines der ältesten Probleme des Information-Filtering in einem massentauglichen Markt anzugehen. Ich bin gespannt, ob sich der Ansatz von Nikolaos Nanas und Christos Spiliopoulos durchsetzt.

Wer mich kennt, weiß, dass es mich besonders begeistert, wenn ich sehe, wie jahrelange universitäre Forschung in eine kommerziell verwertbare Software umgewandelt wird, noch dazu in einem hochkomplexen Bereich der persönlichen Informationsfilterung, an dem sich schon einige die Zähne ausgebissen haben.

Beispiel, wie NOOWIT dem Benutzer erscheint

Die Ideen zu Noowit entstanden im Forschungsprojekt Nootropia (frei übersetzt aus dem Griechischen: eine Denkweise, die eine Gruppe teilt oder ein Individuum hat; persönliche Einstellung, Lebensanschauung). Und der Name ist tatsächlich Programm: Die Anwendung basiert vor allem auf der Forschung von Nikolaos Nanas. Die Idee ist es, Algorithmen, die von der Biologie und speziell dem Immunsystem inspiriert sind, für die schnelle Adaption des Informationsflusses an die aktuelle Situation (Denkweise, Lebensanschauung) des Benutzers zu nutzen. Oder einfacher ausgedrückt: So wie sich das Immunsystem ständig an neue Einflüsse anpasst, passt sich die Webseite an den aktuellen Bedarf des Benutzers und der Informationen im Netz an.

Erster Test

Ich habe natürlich gleich nach einem Testzugang gefragt, um mir selbst einen Eindruck von der Anwendung zu verschaffen, und muss sagen: Respekt! Über eine sehr aufgeräumte Oberfläche, die sich mit Zeitschriften-Viewern wie Flipboard messen kann, erhält man Zugang zu den Artikeln aus unterschiedlichen englischsprachigen Medien. Die Bedienung ist sehr intuitiv. Wenn man nichts einstellen will, braucht man das auch nicht (dann ist es einfach ein Mash-up von Artikeln aus unterschiedlichen Zeitschriften). Man kann aber initiale Präferenzen angeben, also Kategorien (News, Sports, Art etc.) und innerhalb dieser Kategorien Informationsquellen (also Online-Zeitschriften) und in Zukunft auch Autoren, die einen besonders interessieren. Beim Lesen und Stöbern kann man (muss man aber nicht) dem System Hinweise geben, ob der Artikel relevant für einen ist oder nicht.

NOOWIT vor der Aktualisierung

So sah NOOWIT aus, als ich es zum ersten Mal angeschaut habe

Mit der Zeit stellt sich ein ganz persönliches Bild der Informationslage in der Welt ein. Für einen persönlich Relevantes wird angezeigt und Irrelevantes ausgeblendet.

Screenshot Noowit (OLD_3)

Noch ein Screenshot von NOOWIT

Noowit 2013

Einige Tage nach meinem ersten Test habe ich eine E-Mail bekommen, dass der Dienst jetzt vollständig überarbeitet werde. Ich war überrascht, da mir schon der erste Eindruck sehr gut gefallen hat. Also habe ich Nikolaos Nanas angerufen und mal gefragt, was dahinter steckt.

Auch wenn bereits in der aktuellen Version sichtbar ist, wie viele Gedanken sich das Team zu dem Thema gemacht hat, war ich selbst verblüfft, was sie noch alles vorhaben. Ihre Vision ist nichts Geringeres als „die Zukunft der Zeitschriften“ zu schaffen, wie Nikos Nanas es selbstbewusst nennt. Im Gespräch habe ich festgestellt, dass sie nicht nur tausend Ideen haben, sondern auch die Fähigkeiten, viele davon in Software umzusetzen. Nikos Nanas hat jahrelang im Bereich des Information-Filtering geforscht und darüber promoviert.

Man muss sich das neue Noowit, das vermutlich Anfang 2013 in eine private Betaphase geht, bestehend aus mehreren Teilen vorstellen:

  • „the collective“ ist das zentrale Magazin, in dem wie oben beschrieben, der Inhalt personalisiert, dem persönlichen Geschmack angepasst und immer aktuell erscheint.
  • Jeder Benutzer kann seine Sicht auf die Welt durch eigenen Content anreichern, entweder durch Verweis auf Artikel außerhalb von Noowit („read it later“) oder indem er in ein integriertes Blog selbst Beiträge schreibt.
  • Darauf aufbauend ist er dann in der Lage seine Sicht auf die Welt zu veröffentlichen und damit sein persönliches Magazin zu schaffen und dies anderen zur Verfügung zu stellen.
  • Besonders beliebte eigene Beiträge können auch in das Hauptportal „befördert“ werden, wenn sie von vielen Benutzern gelesen und gemocht werden.

Damit entsteht ein ganzes Konvolut aus Artikeln, „alten“ Zeitschriften, kommerziellem Content, Nachrichtendiensten und eben auch Blogbeiträgen, das sich für den Nutzer als zentraler Zugang zu seinen Interessen darstellt und sich an seinen persönlichen Geschmack anpasst – und das in Echtzeit zu der Veröffentlichung von Beiträgen.

Um das Ganze noch intuitiver bedienbar zu machen, nutzen sie eine ganze Reihe von neuartigen Algorithmen aus dem Bereich des Responsive Designs und erweitern diese noch um Aspekte, die das Design an die Interessen des Benutzers anpassen, beispielsweise durch deren Positionierung und Größe. Laut Nikolaos Nanas „wird damit der Nutzer sein persönliches Magazin erschaffen, in dem nur Sachen stehen, die ihn wirklich interessieren“.

Wenn sie es schaffen, tatsächlich ihr ganzes Know-how aus der künstlichen Intelligenz einzubauen, ist zu erwarten, dass sich das System sogar an kurzfristige Geschmacksänderungen oder auch größere Interessenverschiebungen eines Benutzers im Laufe der Jahre anpasst. Ich bin gespannt.

Ich hoffe die beiden Unternehmer halten das durch und finden genügend Kapital, um mittelfristig neben den englischsprachigen auch beispielsweise deutsche oder griechische Quellen einzubinden. In der griechischen Startup-Szene sind sie ja schon sehr aktiv und haben schon erste Auszeichnungen erhalten.

Für die alte Version werden leider keine neuen Accounts mehr angelegt. Wen das Thema aber interessiert, dem würde ich empfehlen sich schon mal unter www.noowit.com/ anzumelden. Aber ich werde sicher noch mal darüber berichten, sobald das neue System online ist.