The drachma startup

Optimismus eines Gründers in schwierigen Zeiten
Eine meiner ersten „Entdeckungen“ für Eulen aus Athen war das Startup WorkableHR. Das Unternehmen heißt inzwischen einfach nur noch Workable und zeigt sehr schön, wie sich ein Startup in Griechenland entwickeln kann, auch unter den schwierigen Umständen – oder gerade deswegen? Neben der innovativen Idee habe ich im Interview mit Nikos Moraitakis viel über das Leben und die Gedanken eines griechischen Gründers in Zeiten der Krise gelernt. Trotz sicherem Job in England und allen Möglichkeiten, dort sein Startup zu gründen, hat er sich bewusst für Griechenland entschieden. Und nicht nur das: Er hat seine Erfahrungen in einem Blog festgehalten, the drachma startup.
Heute hat er beschlossen, sich offiziell als Autor hinter dem Blog zu outen. Großes Lob von mir für den tollen Beitrag (auf Englisch). Lohnt sich zu lesen. Weiter so.

i-kiosk (intale)

Kleiner ist größer

Jeder, der schon mal in Griechenland war, kennt ihn: den Kiosk an der Ecke. Maximal 2-3 m² groß und vollgestopft mit allem, was das Herz begehrt. Es ist unglaublich, was man dort alles finden kann, von erwarteten Produkten, wie Zigaretten, Zeitungen oder Kaugummis über klassische Supermarkt-Produkte, wie Getränke, Rasierklingen, Shampoos, Zahnpasta etc. bis hin zu allem, was einem zwischendrin so einfällt, wie Fahnen, Blöcke, T-Shirts, Geldbeutel, Gürtel etc., und das man auch mal spontan kauft. Mich haben diese Kiosks in meiner Jugend in Athen oft an die Micky-Mouse-Figur Eega Beeva (dt. Gamma) erinnert, der aus seinen Hosentaschen unendlich viele hilfreiche Gegenstände ziehen kann und in seinen kurzen Shorts ein schier unendliches Lager vermuten lässt.

Startseite von i-Kiosk (aktuell nur auf Griechisch)

Startseite von i-Kiosk (aktuell nur auf Griechisch)

In der Business-Welt spricht man eher von Small-Retail-Markets und meint damit genau diese kleinen Geschäfte, die meistens von einer Familie betrieben werden und so sehr das Bild von Griechenland, aber auch vielen anderen Ländern prägen.  Manchmal ist es ein Kiosk, manchmal auch ein kleiner Eckladen oder ein Mini-Market. Was ich nicht wusste ist, dass der Umsatz dieser kleinen Einzelhändler in Griechenland mehr als 50% des gesamten Einzelhandels ausmachen. Da sie, jeder für sich genommen, jedoch außerhalb des sichtbaren Bereichs  für die großen Konzerne sind, gibt es kaum Software-Lösungen, die solche Kiosk-Besitzer bei ihrer Arbeit unterstützen.

Die Entstehungsgeschichte – eine neue Lösung für ein altes Problem

Das griechische Unternehmen i-kiosk hat dies erkannt und aus dem Nichts eine erstaunliche Lösung hervorgezaubert, die sich inzwischen großer Beliebtheit erfreut. „Der Freund eines Freundes ist ein Kiosk-Besitzer und hat gefragt, ob wir ihm nicht helfen können eine Anwendung zu schreiben, mit der er sein Geschäft besser organisieren kann“, sagte mir Fanis Koutouvelis zur Entstehungsgeschichte. Die drei Gründer Fanis Koutouvelis, Orestis Tzanetis und Konstantinos Kazanis sind hellhörig geworden und haben eine kleine Analyse gemacht, indem sie weitere Kiosk-Besitzer gefragt haben, ob ihnen so ein System helfen könnte. Das Ergebnis war, dass 80% aller Befragten sofort Interesse gezeigt haben – eine neue Geschäftsidee war geboren.

Der Gründer von i-Kiosk Fanis Koutouvelis

Der Gründer von i-Kiosk Fanis Koutouvelis

Die Anwendung – keep it simple

Sie haben sich wenige tausend Euro von ihren Eltern geliehen und losgelegt. „Wir mussten eine extrem einfache Lösung schaffen, da die meisten Besitzer mit komplexen ERP-Lösungen völlig überfordert sind“, so Fanis Koutouvelis. Das Ergebnis ist eine kleine Standardhardware mit Touchscreen in 2-3 Ausführungen mit vorkonfigurierter Software. Der Clou ist das Plug-and-Play-Prinzip: Der Besitzer muss die Box nur anschließen und schon hat er Zugriff auf ein riesiges Sortiment an Artikeln.

i-kiosk im Einsatz

i-kiosk im Einsatz

0€-Marketing-Budget, 25 Millionen Transaktionen, 100 Millionen € in einem Jahr

Da die drei Gründer kein Geld für Marketing hatten, haben sie eine 0€-Marketing-Kampagne gestartet, indem sie mit der Lösung vor allem die Presse angesprochen haben. Offensichtlich war die Lösung so bestechend, dass inzwischen nicht nur in griechischen Zeitungen, sondern sogar im Economist und dem Wall-Street-Journal über sie berichtet wurde. Parallel dazu spricht sich die Einfachheit der Lösung wie ein Lauffeuer unter den Mini-Market- und Kiosk-Besitzern in ganz Griechenland herum. „Wir haben inzwischen in 26 der 54 Regionen Griechenlands Kunden und selbst aus den abgelegensten Ecken bekommen wir Anfragen“, berichtet Fanis Koutouvelis stolz. Innerhalb von einem Jahr verzeichnen sie auf ihrem System mehr als 25 Millionen Transaktionen mit über 100 Millionen Euro Umsatz über diese Transaktionen.

Hier noch ein kurzer Auftritt des gerade mal 25-jährigen Gründer Fanis Koutouvelis auf Ignite Athens:

… und jetzt geht es erst los

Alles, was sie innerhalb eines Jahres aufgebaut haben, haben sie aus eigener Anstrengung geschafft und ohne Budget.  Inzwischen beschäftigen sie drei weitere Mitarbeiter und sogenanntes „smart money“ ist auf sie aufmerksam geworden. „Wir wissen, dass wir mit einem ERP für den kleinen Einzelhandel keinen weltweiten Hype  auslösen. Aber Griechenland dient für uns als optimales Feld, um unser Produkt und unsere Dienstleistungen zu erproben. Im zweiten Schritt wollen wir in die großen Märkte vorstoßen, die eine ähnliche  Einzelhandelsstruktur wie Griechenland haben, aber als Märkte wesentlich größer sind“, so Fanis Koutouvelis.

Übersichtliche Auswertung des Umsatzes mit i-Kiosk

Übersichtliche Auswertung des Umsatzes mit i-Kiosk

Je weiter sie fortschreiten, desto mehr Chancen sehen sie auch im Bereich des B2B-Marktes und in der Expansion in weltweite Märkte. Ich habe mich noch eine ganze Weile mit Fanis über das Potential unterhalten, aber ich halte mich mal zurück, da hierzu diverse Gespräche mit Investoren laufen. Ich berichte über die Entwicklungen von i-kiosk bestimmt in einigen Monaten noch einmal.

i-kiosk als Paradebeispiel

Nikos Moraitakis von workableHR hat mich auf i-kiosk aufmerksam gemacht und ich muss ihm beipflichten: Für mich ist i-kiosk das Paradebeispiel eines griechischen Startups – es nutzt die lokalen Rahmenbedingungen  und Erfahrungen in Kombination mit europäischem Sachverstand und Technik-Know-how, um einen echtes Problem mit einer innovativen Lösung zu adressieren. Es schafft dabei aus dem Nichts Arbeitsplätze und eine begeisterte Nutzergemeinde, die schon seit Jahren auf eine solche Lösung gewartet hat.

Was will man mehr.

Nachtrag August 2013:

i-kiosk hat sich inzwischen in intale umbenannt und hat eine erste große Finanzierung vom PJ Tech Catalyst Fund erhalten (siehe auch http://intale.com/intale-sets-forward-to-connect-and-unify-the-retail-market/)

workable

Verschlankung des Bewerbungsprozesses für kleine und mittlere Unternehmen

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie zeitaufwändig der Bewerbungsprozess für ein mittelständisches Unternehmen sein kann. Vor allem, wenn man für eine Stellenausschreibung viele Bewerbungen bekommt und man noch zu klein ist, um eine eigene Personalabteilung zu haben (HR-Abteilung). Wenn es schon in Deutschland aufwändig ist, für ein Unternehmen in Griechenland muss das die Hölle sein: Es kann sein, dass man als 10-Mann-Unternehmen in einem Land mit über 50% Jugendarbeitslosigkeit eine Stelle ausschreibt und plötzlich einige hunderte oder gar tausende Bewerbungen bekommt. In kleineren Unternehmen wird der Bewerbungsprozess üblicherweise „nebenbei“ abgewickelt, also neben dem eigentlichen Geschäft. Wenn man dann hunderte oder tausende Bewerbungen auf den Tisch hat, kann man sich erst einmal ein paar Wochen verkriechen, um die besten Kandidaten herauszufiltern.

Nikos Moraitakis und Spyros Magiatis haben das erkannt und Anfang des Jahres 2012 beschlossen, das griechische Unternehmen workable zu gründen. Ihr Zielmarkt sind kleine und mittelständische Unternehmen in ganz Europa mit 10 bis 200 Mitarbeitern – und davon gibt es unendlich viele. Mir gefällt die Anwendung besonders, weil sie von Mittelständlern für Mittelständler konzipiert ist: Wie Nikos Moraitakis sagt, geht es ihnen nicht darum, die nächste „sexy“ Anwendung zu bauen, sondern einfach ein Werkzeug bereitzustellen, das „sehr einfach zu bedienen ist, da die meisten Nutzer es nur phasenweise zu Bewerbungszeiten nutzen werden. workable hilft Mitarbeiter in Unternehmen beim Einstellen, deren Hauptjob nicht das Einstellen ist“.  Das ist sicher nicht „the next big thing“, aber eine gute und innovative Idee, die vielen Unternehmen in Europa helfen kann.

Die Idee

„Die Zukunft der Bewerbung besteht in der direkten Kopplung von Social Media“ sagt Nikos Moraitakis. Daher haben sie das System von Anfang an so konzipiert, dass der Bewerbungsprozess über Informationen aus LinkedIn, XING, viadeo etc. gesteuert wird.

Die Idee ist eigentlich ganz einfach und doch bestechend: Über ein zentrales Bewerberportal läuft der gesamte Bewerbungsprozess ab. Von der Stellenbeschreibung, die direkt über Social-Media-Kanäle verbreitet wird, über die automatische Klassifikation der Bewerbungen durch Analyse der Profile auf LinkedIn, XING etc., die Verteilung der Bewerbungen, die sich qualifizieren, an die entsprechenden Mitarbeiter, die Kommentierung und Meinungsbildung in den Teams bis hin zum Einladungsgespräch, Zusage bzw. Absage.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Die zentrale Innovation und das größte Unterscheidungsmerkmal zu anderen, vor allem amerikanischen Plattformen, wie the Resumator, jobvite, oder SmartRecruiter, ist die volle Integration sozialer Medien und die Unterstützung des europäischen Bewerbungsprozesses (der in Amerika ganz anders abläuft). Die Ankündigung einer neuen offenen Stelle, aber noch viel wichtiger, die erste Einordnung der Bewerber kann über die Lebensläufe in LinkedIn oder XING quasi automatisiert ablaufen. Wer hat schon Zeit, 100 oder 1.000 PDF-Lebensläufe zu scannen und auszuwerten, um die Bewerber mit einem Abschluss in Informatik oder mehr als 5 Jahren Berufserfahrung als Senior Developer herauszusuchen.

Dabei denken die beiden Gründer gleich noch einen Schritt weiter und ergänzen die Bewerberinformationen beispielsweise um zusätzliche Rankings, wie die von Universitäten – woher sonst soll ich als griechischer Unternehmer wissen, dass der deutsche Bewerber mit einem Diplom von der Informatik-Fakultät in Karlsruhe an einer der besten Informatik-Fakultäten in Deutschland studiert hat 😉

Natürlich hat sich workable auch Gedanken über das Preismodell für die Zielgruppe der kleinen und mittelständischen Unternehmen gemacht: Die Dienstleistung wird über einen kleinen Monatsbeitrag abgerechnet, der gestaffelt ist nach der Anzahl der in diesem Monat laufenden Stellenanzeigen. Wenn man also gerade keine offenen Stellen hat, zahlt man auch nichts. Und mit wenigen Euro pro Monat und Stellenanzeige sind die Kosten auch sehr überschaubar – das Modell soll sich durch die Masse an kleinen an mittelständischen Unternehmen in ganz Europa oder sogar der Welt tragen.

Vier Monate nach Gründung ist das Unternehmen bereits in Griechenland und England aktiv und hat die Integration mit LinkedIn umgesetzt. Der Ausbau auf für das in Deutschland beliebte XING oder das in Frankreich weit verbreitete viadeo ist in Arbeit. Auch planen die beiden griechischen Unternehmer, in Deutschland und anderen europäischen Ländern Büros einzurichten und so auch in Nordeuropa ein paar neue Stellen zu schaffen.

Das Unternehmen und die Gründer

Was mich an dem griechischen Unternehmen jedoch besonders beeindruckt hat, sind die beiden Gründer und deren sehr schneller Erfolg: Obwohl das Unternehmen erst im Juli gegründet wurde, hat es bereits eine Finanzierung von über 100.000€ und ist gerade dabei weitere 600.000€ an Venture-Capital-Investitionen zu bekommen. Nach gerade mal zwei Wochen Betatest hat workable bereits 250 registrierte Unternehmen und sehr positives Feedback – und da sage man noch, dass niemand in Griechenland investiert.

Im Gespräch habe ich auch verstanden, warum sie so schnell so erfolgreich waren. Nikos Moraitakis und  Spyros Magiatis sehen sich als „Gründer der 2. Generation“. Sie haben selbst viele Jahre bei einem der erfolgreichsten Startups Griechenlands gearbeitet, der Firma Upstream und haben das Unternehmen als Mitarbeiter vom Startup bis hin zu einem Unternehmen mit 200 Angestellten begleitet. Aus dieser Zeit stammt auch ihre Erfahrung mit dem umständlichen Bewerbungsprozess. Die Firma Upstream hat sie bei der Gründung übrigens nicht nur durch Beratung dabei unterstützt, ihr eigenes Geschäft zu starten, sondern auch gleich zur ersten Finanzierung beigetragen. Die Idee „Gründer helfen Gründern“ verfolgen sie auch selbst weiter und helfen anderen griechischen Startups bei deren Gründung.

Im Nachgang habe ich noch ein sehr interessantes Gespräch mit Nikos darüber gehabt, was eigentlich den Unterschied zwischen einem deutschen, amerikanischen oder eben griechischen Startup ausmachen wird. Aber das ist ein weites Feld und es lohnt sich dazu sicher ein separater Blog-Beitrag.