Peekintoo

Der Paradigmenwechsel in den Sozialen Netzwerken wird eingeläutet

Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Google+, LinkedIn, Xing und selbst neuere wie Vine, Whatsapp, Snapchat und viele andere folgen alle demselben Grundprinzip: Sie basieren auf einer direkten und persönlichen Verknüpfung juristischer oder echter Personen. Man folgt sich gegenseitig und gibt möglichst viel über sich, seine Präferenzen, seine Meinung und seine Umgebung preis, um den Kreis der Gefolgschaft zu erhöhen. Man könnte auch von Vanity-Netzwerken sprechen, in denen man sich gegenseitig huldigt und durch „Likes“ persönliche Gefälligkeiten verteilt. In Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen fragen, ob sie als Person wirklich alles von sich preisgeben wollen, ergibt sich ein Dilemma: Kann es eine anonyme und doch gleichzeitig öffentliche soziale Interaktion im Netz geben? Kann man überhaupt noch von einem sozialen Netzwerk sprechen, wenn das Netz nicht mehr über die direkte Beziehung zwischen Personen gespannt wird? Was sich wie ein Paradox anhört, versucht das griechische Unternehmen Peekintoo gerade zu lösen. Mit beachtlichen ersten Erfolgen.

Peekintoo_Startseite

Ein Ort verbindet

En wichtiger Treiber für soziale Interaktion ist Sympathie und etwas gemeinsam Erlebtes. Aber oft will man als soziales Wesen auch einfach nur helfen. Wenn die persönliche Bekanntschaft oder Sympathie aus Gründen der Anonymität als verbindendes Element wegfällt, benötigt man einen anderen Verbinder, um überhaupt von einem Netzwerk sprechen zu können. Die drei Gründer von Peekintoo, Yiannis Verginadis, Fotis Paraskevopoulos und Giorgos Tsoukalas, haben sich für das Naheliegende entschieden: Der Ort sowie der Wunsch zu helfen sind bei Peekintoo die verbindenden Elemente. Und wenn man sich das mal genau überlegt, ist der Ort ein extrem guter Verbinder zwischen Menschen: Wir lernen Menschen in Orten kennen, verbinden Erinnerungen mit Orten, wir reisen zu Orten, wir wollen mehr über sie wissen, wir hören von Orten, wir haben Sehnsucht nach Orten, wir freuen oder ärgern uns über Orte, an denen wir gerade sind, wir sind stolz auf unseren Ort und vielleicht träumen wir auch von Orten, an denen wir noch nie waren.

Das Prinzip Peekintoo

Peekintoo (eigentlich „peek into“), also Englisch für „einen kurzer Einblick in etwas erhalten“ oder auch „kurz reinschauen“) ist eine App, die einem kurze Einblicke in die aktuelle Situation in einem Ort seiner Wahl ermöglicht. Peekintoo funktioniert so, dass man über die Karte einen Punkt auswählt und damit den Wunsch äußert, etwas über diesen Ort zu erfahren. Beispiele können Konzerte, Events, Versammlungen oder auch einfach nur touristisches Interesse oder Neugier sein. Ist ein anderer Teilnehmer in der Nähe des gewählten Orts, bekommt er eine Meldung und kann mit der App einen 12 Sekunden langen Film drehen und zusammen mit einem Kommentar veröffentlichen. Keiner der beiden Teilnehmer erfährt voneinander – und Peekintoo auch nicht. Darüber hinaus kann man auch sogenannte Peekshouts absetzen. Wenn man der Welt etwas über den aktuellen Ort zeigen will, einfach den Peek-Knopf etwas länger gedrückt lassen, einen Minifilm drehen und veröffentlichen. Vielleicht interessiert es ja jemanden da draußen, was gerade bei dir los ist.

Reisefieber und die Faszination des Vergänglichen

Ich habe ein bisschen mit der App herumgespielt und mich hat gleich das Reisefieber gepackt. So habe ich mir Peeks in Barcelona vom MWC 2014 angeschaut, bin dann 12 Sekunden durch San Francisco gelaufen und habe mich in eine Faschingsparty in Kalamata gestürzt, um dann zum Abschied noch einen Blick über die Skyline von Hong Kong zu genießen. Letztes Wochenende habe ich selbst meinen ersten Peek abgesetzt, als ich auf Anfrage ein Filmchen von der Lichtentaler-Allee in Baden-Baden vor dem Frieder Burda Museum „gedreht“ habe.

Was einen Teil der Faszination ausmacht, ist, dass alle Videos nur für zwei Stunden zur Verfügung stehen und dann wieder verschwinden. Allerdings kann ihr Leben so lange verlängert werden, wie sich andere für sie interessieren, bis sie irgendwann nicht mehr interessant sind und endgültig von der Plattform entfernt werden – für mich ist Peekintoo fast schon ein Kunstwerk, eine Allegorie für die Schönheit des Moments, aber auch für dessen Vergänglichkeit.

Das Unternehmen und das Geschäftsmodell

Peekintoo ist eine ganz junge Ausgründung aus der Universität Athen. Das Produkt steht in der ersten Version und wurde von Peekintoo ohne Fremdfinanzierung umgesetzt. Im Moment touren die drei griechischen Gründer durch die Lande, um ihre Idee vorzustellen und Meinungen und Ideen zu sammeln. „Der offizielle Start war am 10.12.2013 auf der Konferenz Le Web in Paris. Von den 700 teilnehmenden Startups sind wir bei der Competition gleich unter die 16 Finalisten gekommen, was uns in unserem Ansatz natürlich sehr bestärkt hat“, so Yiannis Verginiadis.

Hier der Vortrag von zwei der drei Gründer auf der Le Web 2013:

Ende Februar waren sie dann noch auf dem MWC 2014 in Barcelona und letzte Woche auf der Konferenz South by Southwest. Ihre Peeks zu den Events kann man übrigens auf Peekintoo ansehen.

Bei aller Schönheit der Idee steckt hinter Peekintoo natürlich auch ein Geschäftsmodell. „Durch die Anonymität und die Entkopplung von persönlichen Beziehungen müssen die üblichen Geschäftsmodelle von sozialen Netzwerken nicht wegfallen“, sagt Yiannis Verginadis. „Sponsoring und Werbung funktioniert auch, ohne die Namen und privaten Details der Benutzer zu kennen“, so Yiannis weiter. Mittelfristig wollen die Unternehmer gezielt gesponserte Peeks versenden, z. B. von Unternehmen, die mit einem bestimmten Ort in Verbindung gebracht werden möchten, oder ein Angebot für einen Ort oder eine Reise dorthin unterbreiten wollen. Darüber hinaus ist Peekintoo auch eine interessante Möglichkeit für Events, sich zu präsentieren und über die 2 Stunden hinaus die Peeks zu einem Event am Leben zu halten – Lebenszeit ist also doch käuflich. „In der Testphase Ende 2013 haben wir beispielsweise den Athen Marathon begleitet und die Peeks, die dort entstanden sind, sind heute noch zu sehen“, erklärt Yannis.

Erste Peeks tauchen auch schon in Deutschland auf und vielleicht informiert man sich in Zukunft über musikalische, sportliche oder auch politische Ereignisse ja nicht nur über die klassischen Medien, sondern indem man einfach mal bei Peekintoo reinschaut, um ein Gefühl für die Situation vor Ort zu bekommen.

Ich wünsche den Gründern viel Erfolg und Peekintoo ein langes Leben mit vielen spannenden Momenten. Sicher werde ich auch weiterhin hier und da Peeks absetzen oder mir selbst anschauen.

radiojar

Einfach auf Sendung gehen

Ende der 70er und in den 80er Jahren war in Griechenland die große Zeit der Piratensender. Viele technikaffine, experimentierfreudige Teenager und Twens (heute würde man vermutlich von Nerds sprechen) probierten ihre neue Freiheit nach der Diktatur aus, indem sie überall neue Sender starteten. Manchmal Belangloses, oft Interessantes, teilweise Politisches: Es gab für jeden Geschmack etwas und ich war dabei, entweder am Radio oder auch mal im „Studio“, im Wohnzimmer von Bekannten, wenn sie ihre Röhrensender zum Glühen brachten. Der heute viel kritisierte und auch damals schon nicht wirklich funktionierende Staat hatte auch einen netten Nebeneffekt: Es war quasi legal, zumindest wurden Piratensender nicht verfolgt, solange man nicht die Frequenzen der staatlichen Sender störte und in einem beschränkten Senderadius blieb.

Die Welt hat sich seitdem weitergedreht und es gibt es tausende große und kleine Radiosender im Internet. Jeder kann machen und sagen, was er will, und trotz der Textdominanz des Internets und der unendlich vielen Angebote im Fernsehen, hat es bis heute nicht seinen Charme verloren jemandem live zuzuhören – heute oute ich mich: Ich bin ein großer Radiofan und besitze nicht mal einen Fernseher.

Jedoch selbst im Internetzeitalter braucht man eine gewisse Technikaffinität oder technische Unterstützung, um online auf Sendung zu gehen. Man benötigt Offline-Tools zum Mixen, wie MIXXX, Streaming-Server wie LIVE365 zum Bereitstellen oder Dienste zum automatischen Abspielen von Playlisten, wie bei Centova. Das griechische Unternehmen radiojar hat das erkannt und eine bemerkenswerte Geschäftsidee entwickelt. Was wäre, wenn die komplette Technik in der Cloud verschwindet und jedermann von überall auf Sendung  gehen könnte? Und das auch noch in Kombination mit neuen Möglichkeiten aus den sozialen Medien, um exaktere Statistiken über die Hörer zu bekommen, Radiostationen direkt in Facebook zu integrieren oder einfach nur um gleichgesinnte zusammenzubringen und gemeinsam auf Sendung zu gehen?

Der Dienst von radiojar

radiojar bietet innerhalb einer Oberfläche alles, was das Herz begehrt, um seinen eigenen Sender hochzuziehen. Neben der Reduktion der Technik auf die Bedienung einer Browser-Anwendung, wartet radiojar auch mit einer ganzen Reihe an Neuheiten auf:

Dass man von überall Radio hören kann, ist ein alter Hut, aber quasi die ganze Welt in die Produktion einer Sendung einzubinden, ist neu. So können die Übergänge zwischen den einzelnen Sendungen oder DJs nahtlos zentral gesteuert werden, egal wo sie sich gerade befinden.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Sogar das gesamte Mischpult befindet sich im Internet, wie folgendes ältere Video zeigt:

Die Sendung läuft weiter, auch wenn mal die Internetverbindung zu einem Moderator oder DJ abbricht. Das fängt das System automatisch auf, indem es beispielsweise etwas aus der Playlist einbindet, ohne, dass der Zuhörer etwas merkt.

Durch die Einbindung in die sozialen Netzwerke können DJs für bestimmte Sendungen gebucht werden und es entstehen ganz neue Möglichkeiten, auf seinen Sender oder eine bestimmte Sendung Aufmerksamkeit zu richten.

Zu einem professionellen Radiosender gehört natürlich auch eine App. Daher wird demnächst eine Möglichkeit bereitgestellt, die es jedem radiojar-Sender ermöglicht, seine eigene App zu erzeugen und in den Store hochladen.

Spannend fand ich auch den ersten Betatest, den radiojar durchgeführt hat: Über eine Zusammenarbeit mit MTV und Nestlé Crunch, haben sie alle Interessierten aufgefordert einen 15 Minuten-Mix zu produzieren. Mehrere hundert DJs haben mitgemacht und mehrere tausend haben der Musik gelauscht und ihre Stimmen in Form von „likes“ abgegeben.

Das Unternehmen und erste Erfolge

Echten Unternehmergeist mit vollem Risiko haben die vier Gründer Spyros Pilathas, Stathis Koutsogeorgos, Fotis Politis und George Terezakis gleich zu Beginn gezeigt. Sie haben nicht nur selbst viel Zeit in die Planung und Entwicklung gesteckt, sondern auch gleich auf eigenes Risiko einen sechsstelligen Betrag in die Hand genommen und beschäftigen inzwischen fünf weitere Mitarbeiter.

Ihr Mut scheint sich zu lohnen und gerade ein Jahr nach der Gründung haben schon über 100.000 Nutzer irgendeinen der Dienste von radiojar ausprobiert, von denen ca. 3000 schon eigene Sendungen gemacht haben. Laut George Terezakis „laufen inzwischen 25 Radiosendungen als Piloten über radiojar und allein in den letzten 30 Tagen gab es 45.000 Zuhörer“. Ein erstaunlicher Erfolg innerhalb von kürzester Zeit.

Der erste Erfolg und ihre eigene Initiative macht sie sehr interessant für Investoren, sodass sie aktuell auf Augenhöhe auch über größere Finanzierungsrunden reden.

Das Geschäftsmodell von radiojar und erste Sender online

Das Geschäftsmodell ist sehr einfach und doch bestechend. Durch die konsequente Auslagerung und Zusammenführung aller Radiodienste in die Cloud können sie einfache und günstige Monatspreise anbieten, die auch für einen kleinen Sender sehr interessant sind.

Ihre Ideen gehen aber noch viel weiter. Über ihre für Radiostationen einmaligen statistischen Auswertemöglichkeiten bietet sich ein ganz neues Modell für die Werbeindustrie. Wie mir George Terezakis im Interview anvertraute, wollen sie „langfristig in Richtung Ad Word für Radiostationen“. Das bedeutet, dass man als Werber beispielsweise Werbe-Jingles einspielen kann und diese dann punktgenau in Sendungen mit bestimmten DJs, bestimmen Zuhörergruppen, bestimmten Musikrichtungen oder auch bestimmten Musiktiteln laufen. Über ein Revenue-Sharing zwischen Sender und radiojar profitieren alle davon.

Auch wenn ich am Anfang von Piratensendern gesprochen habe, eine der großen Zielgruppen von radiojar sind etablierte Sender. Bei den neuen Werbemöglichkeiten, neuen Interaktionsmöglichkeiten mit den Zuhörern, der Reduktion der Technik und das in Kombination mit sehr günstigen Preismodellen, würde es mich wundern, wenn es in zehn Jahren noch viele Radiosender gibt, die ohne radiojar auskommen. Erste radiojar-Sender sind schon online, wie beispielsweise die griechischen Sender VFM oder  Best von der Liberis-Gruppe, einer der größten Mediengruppen in Griechenland.

Last but not least: radiojar bietet nun ganz neue Möglichkeiten auch für Musik-Labels, DJs, Booking-Agenturen etc., die mit wenigen Klicks ihr eigenes Programm anbieten können. Ich bin gespannt, was sich um radiojar alles Neues entwickeln wird.

Viel Spaß beim Zuhören und Mitmachen!