Liater

Der traditionelle Einzelhandel schlägt zurück

Seit Anbeginn des Internets sprechen alle vom E-Commerce und darüber, wie der Online-Handel den traditionellen Einzelhandel verdrängen wird. Folgt man den Meldungen zum Thema, hat man das Gefühl, dass man heutzutage nur noch online einkauft. Fakt ist jedoch, dass immer noch über 92 % des Handels offline stattfindet, also im klassischen Einzelhandelsgeschäft (Quelle). In vielen Ländern ist es vermutlich sogar noch mehr. Ich kann es nachvollziehen. Man will Sachen in der Hand halten, ausprobieren, miteinander vergleichen. Man will die Sachen gleich mitnehmen und zeigen und nicht erst auf den Postboten warten (der blöderweise auch selten zu Zeiten kommt, wenn die arbeitende Bevölkerung zu Hause ist) oder man sieht das Shopping vielleicht sogar als Erlebnis, bei dem man mit Freunden durch die Geschäfte schlendert und zwischendurch etwas isst oder einen Kaffee trinkt oder einfach nur mit den Verkäufern ein Schwätzchen hält und sich beraten lässt.

Forschung und Entwicklung im E-Commerce drehen sich häufig darum, den traditionellen Einzelhandel zu imitieren. Man denke nur an Online-Beratungsangebote (heute Chat-Bots), Produktvideos, 3D-Animationen, Empfehlungssysteme etc. Alles mit dem Ziel, mehr Leute auf die Seite zum bekommen, sie länger auf der Seite zu behalten und natürlich zum Kauf zu animieren (Neudeutsch: die Konversionsrate zu erhöhen).

liater_logo_small Das griechische Startup Liater dreht das Ganze jetzt um und wendet moderne Techniken und Interaktionsmöglichkeiten an, um die paar wenigen Vorzüge des E-Commerce in den traditionellen Einzelhandel zu bringen. Der Name Liater steht übrigens Retail reversed (einfach das englische Wort retail umgekehrt lesen).

Konversionsrate im Laden erhöhen

Schaufenster waren im Einzelhandel schon immer das Mittel schlechthin, um Leute dazu zu bewegen in den Landen zu kommen. Je attraktiver das Schaufenster, desto mehr Leute kommen ins Geschäft, so die These. Liater bietet jetzt quasi ein interaktives Schaufenster an. Im Schaufenster stehen eine Kamera, ein Bildschirm und ein Gerät, das die Bewegung der Passanten aufgreift. Durch wischen und andere Handbewegungen kann sich der Passant durch das Sortiment bewegen und bekommt das Kleidungsstück direkt auf seinen Körper projiziert. Er kann Farben auswählen, sich ähnliche Stücke anzeigen lassen, die Auswahl bewerten und sogar über sein Smartphone und eine URL bzw. einen QR-Code sein Bild mitsamt Kleidung an seine Freunde zur Bewertung schicken. Wenn er will, kann er direkt online bestellen oder, noch besser, einfach in den Laden gehen und das Kleidungsstück persönlich anprobieren und kaufen.

Was sich wie ein Gimmick anhört, hat erstaunliche Wirkung: Wie mir Antonis Argyros, der Gründer und Geschäftsführer von Liater erklärt, „bleiben die Leute länger stehen, schauen sich mehr Produkte an und gehen viel häufiger in den Laden. Um genau zu sein, wir haben gemessen, dass die Konversionsrate bei ca. 31 % liegt, was ungefähr das Achtfache eines Schaufensters ohne Liater ist“.  Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass sich Trauben um das Schaufenster bilden und viel mehr Leute stehen bleiben, um es selbst auszuprobieren oder auch gleich in den Laden gehen.

A/B Testing des Sortiments

Neben der direkten Interaktion mit dem Sortiment des Ladens bietet Liater auch ein ganz anderes Potential für kleine Geschäfte. Üblicherweise müssen die bereits Monate vorab ihre Auswahl an Produkten treffen und vorbestellen, ohne zu wissen, was bei ihrer Kundschaft gut ankommt. Daher gehen einige Läden inzwischen dazu über, Liater zu nutzen, um das nächste Sortiment direkt bei ihren Besuchern zu testen. Durch die Interaktion, Auswahl und Bewertung erfahren sie, welche Modelle gut ankommen und welche nicht, und können somit viel gezielter vorbestellen – denn die Geschmäcker können sich durchaus in jeder Stadt oder Nachbarschaft unterscheiden.

Das Unternehmen, die Gründer und das Geschäftsmodell

Antonis Argyros hat das griechische Unternehmen zusammen mit Stavros Vassos und Marianna Vakalopoulou gegründet. Antonis selbst hatte schon vor vielen Jahren mit seinen Brüdern eine kleine Kette mit Sportwaren gegründet, woher auch die Idee kam. Das Team besteht inzwischen aus 17 Personen und Liater bedient aktuell ca. 50 Einzelhandelsgeschäfte in Griechenland, Holland und den USA. Das Geschäftsmodell basiert auf einem Abonnement-Modell, bei dem man einen überschaubaren monatlichen Preis pro Endgerät zahlt, solange man das Angebot nutzt.

Bemerkenswert finde ich auch, dass einer der Unternehmenspartner das FORTH auf Kreta ist (Foundation for Research & Technology – Hellas), eine der größten Forschungseinrichtungen Griechenlands. FORTH ist nicht nur am Unternehmen beteiligt, sondern hilft auch mit Entwicklern, Forschern und Forschungsprojekten, das Produkte weiterzuentwickeln. Liater ist zu großen Teilen eigenfinanziert, hat allerdings auch kleinere Investments von Odyssey Fund, Metavallon Accelerator und dem Niederländischen Startup Bootcamp sowie Angel-Investoren.

Ich finde die Idee extrem vielversprechend. Die Erfahrung des Teams in künstlicher Intelligenz und im Retail ist ebenfalls beeindruckend und wie die ca. 50 Shops zeigen, funktioniert das Geschäftsmodell auch.

Ich bin gespannt, wann ich die erste Traube vor einem Karlsruher Geschäft sehe, das mit Retail Reversed von Liater ausgestattet ist.